Warum nannte Jesus seine
Botschaft "Evangelium"?
Meist übersetzen wir dieses Wort - und das ist
sprachlich
richtig - mit
"Frohe Botschaft!" Aber dieses Wort ist nicht umfassend
genug. Es
bedeutet in der Antike viel, viel mehr als nur eine gute
Botschaft,
eine fröhliche oder frohe Botschaft. Was es wirklich
bedeutet,
möchte
ich deutlich machen aus der Geschichte Griechenlands, wo
dieses Wort
entstanden ist. In Griechenland gab es Stadtstaaten.
Jede Stadt hatte
ihren eigenen Staat. Und immer wieder bekriegten sie
sich gegenseitig,
immer wieder passierten Überfälle. Und wenn dann eine
Stadt erfuhr,
dass der Feind anrückte, zogen alle Männer, die
überhaupt ein Schwert
führen konnten, aus, um ihre Stadt zu verteidigen und
den
Feind
möglichst weit draußen auf dem Schlachtfeld
abzuwehren. In dieser Zeit
gab es bange Stunden, manchmal bange Tage. Die Frauen,
die daheim
geblieben waren, versammelten sich an Haustüren und
Stadttoren. Sie
legten Trauerkleider an und mussten damit rechnen, am
Abend Witwe zu
sein. Ihre Kinder könnten als Sklaven verkauft werden
und sie
selbst
der Brutalität des Feindes ausgesetzt sein, aller Habe
und
ihrer
Freiheit beraubt, und ihre Stadt nur noch ein
schwelender Haufe Asche.
- Wenn dann aber die Schlacht gewonnen und die Abwehr
gelungen war,
dann schickte man vom Schlachtfeld einen Soldaten, um
der Heimatstadt
zu sagen: "Wir haben gesiegt!" Dieser Mann lief manchmal
einen ganzen
Tag. Wir kennen ja die berühmte Geschichte des
Läufers von Marathon,
der nach dem Sieg des Miltiades über die Perser nach
Athen
lief: 42,2
Kilometer weit. Sein Lauf wurde zur olympischen
Disziplin. Wenn solch
ein Siegesbote in der Stadt eintraf, dann hätte er kein
Wort
zu sagen
brauchen. Schon seine Haltung sagte, was geschehen war.
Er hatte seine
Speerspitze mit Lorbeer geschmückt, sein Haupt war
bekränzt, sein
Antlitz strahlte. Er reckte seine Hand empor zur
Begrüßung und sagte
nur zwei Worte: "Chairete, nikomen!" Auf Deutsch: "Freut
euch! Wir
haben gesiegt!" In diesem Augenblick schwand alle Angst.
Die Tore
wurden geöffnet, die Barrikaden weggeräumt und die
Trauerkleider
abgelegt. Die Frauen bereiteten den Empfang ihrer
siegreichen
Männer
vor. Diese beiden Worte "Freut euch, wir haben gesiegt"
hießen
"Evangelion"; in unserer Sprache: Evangelium. Und der
Siegesbote vom
Schlachtfeld hieß "Evangelistes". Darum ist die
Übersetzung "Evangelium
= frohe Botschaft" zwar richtig, aber nicht umfassend
genug.
Siegesbotschaft, das ist das Evangelium. Es gab in der
Weltgeschichte
viele Siege und Niederlagen von hoher Bedeutung, etwa
dass die Athener
über die Perser damals bei Marathon, 490 vor Christus,
gesiegt
haben,
dass die Deutschen bei Sedan siegten und die Franzosen
an der Marne,
dass die Engländer bei Diepe siegten und die Russen in
Stalingrad.